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SchoolMatters




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21. Dezember 2021

09 Suizidalität und die Rolle der Schule

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9.5 Nachsorge: Worauf nach einem Suizid(-versuch) zu achten ist

Das oberste Ziel aller Nachsorgestrategien und -massnahmen ist die Erleichterung einer gesunden Verarbeitung des Suizidversuchs bzw. Suizids und die Rückkehr zur Normalität des Schulalltags. Schulen sollten hierfür die Beratungs- und Nachsorgeangebote externer Gesundheitseinrichtungen (vgl. Box) in Anspruch nehmen und sich in den darauffolgenden Wochen von Fachpersonen beraten und begleiten lassen. Vorbeugend wird Schulen nahegelegt, bereits im Rahmen der Entwicklung eines Handlungsleitfadens für Krisensituationen Kontakte zu umliegenden Fachstellen (z.B. auch Erziehungsberatungsstellen) aufzunehmen, Informationen über deren Angebote einzuholen und übersichtlich aufzubereiten. Dies erleichtert und beschleunigt in einem Notfall die Zusammenarbeit mit diesen Fachstellen und den Zugriff auf ihre Beratung (vgl. Kapitel 8.4).

Holen Sie sich Hilfe
Im Umgang mit den Folgen eines Suizidversuchs oder Suizids können die Schulpsychologischen Dienste resp. kantonalen Fachstellen für Sek II oder auch Angebote von kompetenten Notfallpsychologinnen/-psychologen helfen. Diese finden Sie z.B. unter www.krisenkompetenz.ch, www.kriseninterventionschweiz.ch oder www.carelink.ch.

Nach einem Suizidversuch
Wenn Sie vom Suizidversuch einer Schülerin/eines Schülers erfahren, ist es Aufgabe der Schule, ihre/seine Rückkehr in die Klasse gut zu unterstützen. Im Idealfall lassen Sie sich dabei ebenfalls von einer Fachperson beraten. Um Gerüchte und Nachahmung vorzubeugen, sollten Sie aktiv kommunizieren, jedoch nie ohne die Einwilligung der betroffenen Schülerin/des betroffenen Schülers. Auch müssen Sie klären, ob ein Konflikt in der Schule (z.B. Schulausschluss/Abstufung, Auseinandersetzung mit Lehrpersonen oder Mitschülerinnen/Mitschülern) beim Suizidversuch mitgespielt hat. Wichtig: Da ein erster Suizidversuch ein grosser Risikofaktor für einen weiteren ist, benötigt die Schülerin/der Schüler anhaltende Unterstützung und besondere Aufmerksamkeit [1].

  • Etablieren Sie ein System der kontinuierlichen Beobachtung und Begleitung der/des betroffenen Schülerin/Schülers (gilt grundsätzlich für alle Risikoschüler:innen).
  • Zeitweise wird es notwendig sein, intensiv mit der Schülerin/dem Schüler zu arbeiten.
  • Berater:innen oder andere Mitglieder der Schule sollten die Verbindung zu einer Schülerin/einem Schüler, die/der sich in Behandlung befindet, und zu den Eltern aufrechterhalten, damit eine fortwährende Unterstützung aus der Schulumwelt zur Verfügung steht.
  • Helfen Sie bei der Reintegration in die Schule: Organisieren Sie geeignete Materialien, um den versäumten Schulstoff aufzuholen, und unterstützen Sie andere Lehrpersonen im angemessenen Umgang mit der/dem Schüler:in. Sie sollten jedoch auch Ihr eigenes Arbeitspensum und Wohlbefinden genau beobachten. Die Unterstützung von Risikoschülerinnen/-schülern darf für Sie und die anderen Lehr- und Betreuungspersonen nicht zu einer ausserordentlichen und andauernden Belastung werden.
  • Ermutigen Sie das Kollegium, Betroffene so normal und alltagsnah wie möglich zu unterstützen, d.h. sie in Aktivitäten einzubinden, sie wie alle anderen zu begrüssen und gelegentlich nachzufragen, wie es ihnen geht.
  • Wenn der Suizidversuch öffentlich bekannt ist, müssen die Mitschüler:innen vor der Rückkehr der Schülerin/des Schülers den Vorfall besprochen und gemeinsam diskutiert haben. Dabei sollte auch darüber gesprochen werden, wie die Klasse angemessene Unterstützung anbieten kann und welche Möglichkeiten es für die Klassenkameradinnen und -kameraden gibt, sich daran zu beteiligen, wenn es gewünscht wird. Achten Sie auch darauf, ob jemand aus der Klasse selbst Unterstützung benötigt. In diesen Diskussionen sollte allen Schüler:innen Gelegenheit gegeben werden, ihre Sorgen und Befürchtungen anzusprechen. Der Diskussionsprozess kann Ihren Schülerinnen und Schülern deutlich machen, wie sie selbst oder auch andere Hilfe und Unterstützung bekommen können, wenn sie diese brauchen.

Nach einem Suizid
Im Fall eines Suizids ist es Aufgabe der Schule, die Trauerprozesse innerhalb der Schulgemeinschaft zu begleiten und zu beobachten. Idealerweise sorgt die Schulleitung für externe Hilfe. Neben Trauer und Verzweiflung treten auch Schuldgefühle und Abwehrreaktionen auf. Die Schule wird mit grosser Sicherheit mit vielen Fragen konfrontiert werden, die sie selbst betreffen, und sie muss sich auf den Umgang mit den Medien vorbereiten. Parallel dazu muss der möglichen Gefahr der Nachahmung des Suizids besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Personen, die zuvor als suizidal oder selbstverletzungsgefährdet eingeschätzt wurden, und auch nahestehende Personen sind in diesem Moment besonders anfällig.

Auf alle genannten Aspekte kann sich eine Schule vorbereiten, indem sie in ihrem Handlungsleitfaden für Krisensituationen die Massnahmen und Strategien zur Nachsorge berücksichtigt, die den Umgang mit Trauerreaktionen in der Schulgemeinschaft unterstützen und die Rückkehr in den Schulalltag erleichtern (vgl. Kapitel 9.4).

  • Besorgte oder möglicherweise suizidgefährdete Schüler:innen erkennen und angemessen unterstützen. Suizidgedanken werden von den Betroffenen oftmals aus Scham oder Angst vor heftigen Reaktionen für sich behalten.
  • Sofortige Unterstützungs- und Beratungsangebote bereitstellen, die Schüler:innen und Lehrpersonen u.a. zu verstehen helfen, warum es zu Suiziden kommt. Warum sich jemand das Leben nimmt, wird sich nie ganz erschliessen, es gibt immer mehrere Gründe, die kaum je alle erkannt werden können. Es ist wichtig, dies allen Schülerinnen und Schülern zu kommunizieren, um Schuldzuweisungen und Schuldgefühle zu vermeiden.
  • Auf die Bedürfnisse von Schülerinnen/Schülern und Lehrpersonen eingehen.
  • Angemessene Informationen, personelle Betreuung, Räume und Materialien für Diskussionen zum Suizid bereitstellen.
  • Sowohl individuelle Unterstützung als auch Gruppenarbeit anbieten.
  • Partnerschaftliche Zusammenarbeit mit ethnischen oder religiösen Gruppen, um ihre Bedürfnisse, Trauermethoden und Glaubenssysteme zu berücksichtigen.
  • Durchführung von psychologisch-pädagogischen Aktivitäten mit den Schülerinnen und Schülern, die ihnen helfen, ihre eigenen Emotionen und Trauerreaktionen besser zu verstehen.
  • Den Schulmitgliedern verschiedene Möglichkeiten zum Kondolieren anbieten (z.B. einen Brief schreiben oder Teilnahme an der Beerdigung), ihre subjektiven Bedürfnisse berücksichtigen und ernst nehmen.
  • Romantisierung des Todes sowie Gedenkzeremonien wie das Pflanzen eines Baums oder das Anbringen einer Tafel vermeiden (vgl. Box).
  • Betonen, dass es zahlreiche Alternativen zum Suizid gibt.

Die vom Suizid unmittelbar betroffenen Eltern, Angehörigen, Freundinnen und Freunde brauchen voraussichtlich noch zusätzliche längerfristige Unterstützung und Beratung. Besonders betroffen können aber auch verletzliche Schulmitglieder sein, die die gestorbene Person kaum kannten oder keinen engen Kontakt mit ihr hatten. Der Nachsorgeplan sollte dabei helfen, diese Menschen zu erkennen. Es können sein:

  • enge Freundinnen und Freunde,
  • Geschwister, Cousinen und Cousins,
  • feste Freundin/fester Freund,
  • diejenigen, die kurz zuvor Streit mit der Person hatten, ohne dass es zu einer Versöhnung kam,
  • Lehrpersonen sowie
  • gefährdete, verletzliche Schüler:innen und Lehrpersonen.

Hilfreiche Strategien bei der Einschränkung der potenziellen Gefahr der Nachahmung können sein:

  • Bewusstsein dafür, dass die am stärksten betroffenen Personen nicht immer diejenigen sind, von denen eine Nachahmung erwartet wird.
  • Besondere Aufmerksamkeit und Sorge um diejenigen, die sich zurückziehen und still werden, und um jene, die selbst gerade emotionalen Stress durchleben (Risikopersonen).
  • Alle Aktivitäten und Diskussionen sollten von vertrauensvollen kompetenten Erwachsenen begleitet werden, die darauf achten, dass auch die Möglichkeiten angesprochen werden, wie man aus schwierigen Lebenssituationen herausfinden kann.
  • Sicherstellen, dass zusätzliche Unterstützungsstrukturen und Vermittlungsmöglichkeiten vorhanden sind.
  • Kommunikation mit den Eltern über Trauerreaktionen, Warnsignale und Unterstützungsangebote.
  • Romantisierung des Todes und Gedenkzeremonien, wie das Pflanzen eines Baums oder das Anbringen einer Tafel, vermeiden (vgl. Box).

Um dies zu erreichen, sollte die Schule:

  • Möglichst ohne Unterbrechung sichere und zuverlässige Schulstrukturen bieten, z.B. durch die Anwesenheit von Lehrpersonen und regelmässigen Unterricht (auch wenn sich der Unterricht kurzzeitig auf psychologisch-pädagogische Aktivitäten konzentriert).
  • Kontinuierliche Rücksprachen mit dem Team zum Management von Krisensituationen organisieren.
  • Verhalten, Reaktionsmechanismen und Strategien in der Krisensituation kritisch überprüfen und gegebenenfalls die Nachsorgestrategien überarbeiten.
  • Regelmässigen Austausch und/oder Supervision für besonders belastete Lehrpersonen anbieten.

Gedenkzeremonien
Bekommt die durch Suizid verstorbene Person eine wie auch immer geartete besondere Aufmerksamkeit an der Schule, könnte dies die Gefahr der Nachahmung erhöhen. Denn bei den Schülerinnen/Schülern oder auch Lehrpersonen könnte der Eindruck entstehen, dass man bei einem Suizid ebenfalls in den Mittelpunkt der Schule gerückt werden würde. Dies sollte unbedingt vermieden werden!

1    Gesundheits- und Bildungsdirektion Zürich (2021)