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SchoolMatters




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18. September 2023

09 Suizidalität und die Rolle der Schule

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9.2 Suizidprävention in der Schule und im Unterricht

Die Aufgabe von Schulen ist in erster Linie die Gesundheitsförderung bei allen Schulmitgliedern. In diesem Rahmen leistet sie auch Suizidprävention, indem sie im Sinne von MindMatters strategisch bei den Schutzfaktoren ansetzt, also bei der Stärkung der Resilienz, der Verbundenheit und des Selbstwertgefühls. Eine Vielzahl sozialer oder emotionaler Probleme wie Risikoverhalten, Mobbing, Drogenkonsum oder schlechte Schulleistungen können mit einer solchen Gesamtstrategie zur Förderung der psychischen Gesundheit ebenfalls abgemildert werden. Insbesondere eine positive Verbindung zur Schule – oder auch zu einer einzelnen Lehrperson – gilt als starker Schutzfaktor für die psychische Gesundheit, vor allem, wenn die Verbundenheit zur Familie eher schwach ist [1]. Verbundenheit zu stärken ist deshalb eine der besten Möglichkeiten der Schule, Suizidprävention zu leisten.

Schulen, die die Förderung der psychischen Gesundheit in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen, sollten deshalb:

  • eine sichere, unterstützende, fürsorgliche Schulkultur/Lernumwelt entwickeln (vgl. Kapitel 3.1, 3.2 und 5.1),
  • Partnerschaften innerhalb der Schulgemeinschaft und zu externen Gesundheitseinrichtungen, Beratungsstellen und Unterstützungsangeboten aufbauen und verbessern (vgl. Kapitel 3.4).
  • ihre Lehrmethoden überdenken (vgl. u.a. Kapitel 3.5),
  • die überfachlichen Kompetenzen fördern (vgl. Kapitel 3.6).

Bei der Entwicklung entsprechender Schulprogramme ist es sehr wichtig, dass Schulen auch die Situation im Schulumfeld sowie kulturelle, religiöse und soziale Kontexte bedenken. Den Schulleitungen stehen hierzu verschiedene Informationsquellen zur Verfügung, darunter die Lehrpersonen, die Schüler:innen, die Eltern, Schulsozialarbeitende, kommunale/kantonale Fachstellen und Beratungsstellen.

Ein weiterer wichtiger Baustein der Suizidprävention in der Schule sind Früherkennung und Frühintervention (vgl. Kapitel 6 und 9.3). Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass Lehrpersonen aber auch Schulsozialarbeitende, Beratende und weitere Mitarbeitende der Schule Kenntnisse über die Risikofaktoren haben, gut beobachten und im Verdachtsfall frühzeitig(er) und effektiv(er) handeln können. In Problemsituationen ist es auch wichtig, dass Lehrpersonen davon überzeugt sind, dass es angemessene Lösungen gibt, und sie diesen Optimismus transportieren.

Was Lehrpersonen im Zusammenhang mit Suizidprävention bedenken sollten

  • Alle Bemerkungen, Beobachtungen, Zwischenfälle, Offenbarungen oder geäusserten Gedanken über Suizid sollen generell sehr ernst genommen werden (auch wenn sie abstrakt und indirekt ausgedrückt werden) und – einem Handlungsleitfaden (Kapitel 9.3) – folgend an die zuständigen Personen oder Fachstellen weitergeleitet werden.
  • Alle Schüler:innen sowie Lehrpersonen müssen wissen, dass bei drohender Lebensgefahr ein Geheimnis nicht länger geheim bleiben darf und die Schweigepflicht aufgehoben ist (vgl. Kapitel 5.1). Wenn also eine Schülerin/ein Schüler einer Lehrperson eine entsprechende vertrauliche Information offenbart, muss die Lehrperson sie/ihn darüber aufklären, dass sie zur Weitergabe dieser Informationen an vertrauenswürdige Personen (Schulleitung oder auch die Eltern, vgl. Kapitel 5.1 und 5.2) verpflichtet ist. Dies dient dem Schutz der gefährdeten Person.
  • Auch wenn Verschwiegenheit nicht garantiert werden kann, muss die Privatsphäre der Schüler:innen geschützt werden. Wenn Informationen weitergeleitet werden, sollten die Schüler:innen wenn möglich in diesen Prozess miteinbezogen werden.
  • Jede Schülerin/jeder Schüler muss wissen, wer ihre/seine Ansprechpartner:innen sind, wenn sie/er selbst oder Freundinnen/Freunde Hilfe benötigen.
  • Klassenlehrpersonen können/sollen weder gezielte Beratung noch Behandlung anbieten, sich aber um eine vertrauensvolle, fürsorgliche und unterstützende Beziehung bemühen und Informationen bereithalten (vgl. auch Kapitel 3.5).

Thematisierung und Enttabuisierung Suizid im Unterricht
Suizid zu enttabuisieren ist ein wichtiger Baustein der Prävention. Wenn das Thema Suizid im Unterricht aufgegriffen wird, sollte vermittelt werden, dass es etwas ist, worüber man sprechen kann. Denn wenn Betroffene Suizidgedanken aus Scham oder Angst vor heftigen Reaktionen für sich behalten, ist Hilfe nicht möglich. Darüber sprechen löst keinen Suizidversuch aus. Im Gegenteil: Die Thematisierung im Unterricht ist eine Gelegenheit für die betroffenen Schüler:innen, über vorhandene Suizidgedanken zu sprechen. Es ist daher wichtig, Raum für solche Gespräche zu schaffen (z.B. gemeinsam mit der Schulsozialarbeit). Zudem ist es ein weitverbreitetes Bedürfnis junger Menschen, über Suizid zu sprechen, unabhängig davon, ob sie direkt von diesem Thema betroffen sind oder nicht.

Folgendes sollte bei der Thematisierung aber beachtet werden:

  • Am besten lässt sich das Thema in den Kontext «Umgang mit Krisen/Lebenssinn» einbetten.
  • Ein geeigneter Zeitpunkt ist etwa, wenn das Thema in den Medien ist, z.B. wegen einer TV-Serie oder des Suizides einer prominenten Person.
  • Achtung: Kein geeigneter Zeitpunkt ist es, wenn Schüler:innen in der Klasse suizidal sind oder wenn im nahen Schulumfeld ein Suizid oder Suizidversuch geschah. In solchen Fällen sollten Fachleute beigezogen werden. Diese können Unterstützung bieten, wie das Thema aufgegriffen werden kann – zunächst mit der/dem betroffenen Schülerin/Schüler und danach allenfalls im Unterricht.
  • Niemals Filmbeiträge oder Texte verwenden, die Suizidmethoden thematisieren. Auch düstere und entmutigende Beispiele über vollzogene Suizide sind nicht geeignet. Beides kann zu Nachahmungstaten führen, weil sich die Schüler:innen mit den Betroffenen identifizieren.
  • Auch Suizidzahlen sind nicht relevant. Im Zentrum sollte stehen, dass Suizidgedanken bei Krisen auftauchen können und wie man sich dann Hilfe holen oder jemanden unterstützen kann. Das heisst: Nicht das Problem, sondern die Handlungsmöglichkeiten sollten im Unterricht beleuchtet werden.
  • Reaktionen der Schüler:innen beobachten, auch nach dem Unterricht zur Verfügung stehen und Hilfe aktiv anbieten. Es besteht das Risiko, dass Schüler:innen emotional aufgewühlt werden, wenn sie Suizidgedanken haben oder in privaten Umfeld mit Suizid konfrontiert werden und gezwungen sind, sich mit diesem Thema zu befassen.
  • Den Schülerinnen und Schülern erlauben, den Raum zu verlassen, wenn sie sich nicht wohlfühlen.

Um die Lehrpersonen zu entlasten und die mögliche Gefahr der Suggestion zu umgehen, sollten sich Lehrpersonen auf die Förderung der Resilienz, der Verbundenheit zur Schule und des hilfesuchenden Verhaltens konzentrieren, statt mehrmals hintereinander das Thema Suizid in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen oder Suizid als zentrales Thema zu wählen, z.B. bei Forschungsprojekten, beim kreativen Schreiben, bei Theaterstücken oder Gedichtinterpretationen.

Wenn sich Lehrende dazu entschieden haben, das Thema Suizid anzusprechen, ist eine offene und respektvolle Gesprächsführung ebenso wichtig wie ein vertrauensvolles Klassenklima und das Vertrauen der Lehrperson in die eigenen Fähigkeiten, ein solch schwieriges Tabuthema zu unterrichten. Bereiten Sie sich gut vor und/oder suchen Sie Unterstützung und führen Sie den Unterricht gegebenenfalls gemeinsam mit externen Beraterinnen/Beratern durch. Betonen Sie unbedingt die Handlungsalternativen. Im Kapitel 9.6 finden Sie einige Musikstücke, die Mut machen und in den Unterricht eingebaut werden können.


Der Beitrag der Suizidprävention zur gesundheitsfördernden Schule
So wie das Programm einer gesundheitsfördernden Schule zur Suizidprävention beiträgt, trägt umgekehrt die Suizidprävention zur gesundheitsfördernden Schule bei, u.a. in folgenden Qualitätsbereichen:

  • Rahmenbedingungen: Suizidprävention leistet z.B. einen Beitrag zum effektiven Umgang von Schulen mit Krisensituationen.
  • Schulkultur: Suizidprävention leistet einen Beitrag zur Bewältigung von Krisen und zur Verbesserung des Umgangs mit Stress und trägt zur Stärkung des Selbstwerts bei.
  • Schulführung und Management: Suizidprävention geht mit der Entwicklung von Interventionsplänen/Konzepten zum Umgang mit Krisen einher.
  • Kooperation und Aussenbeziehungen: Suizidprävention geht einher mit Kooperationen von Schulen mit entsprechenden Fachstellen und sollte auf gemeinsamen Beobachtungen der Lehrpersonen im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Schüler:innen basieren.
  • Professionalität der Lehrpersonen: Mit Suizidprävention ist auch die Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen verbunden und das Wohlbefinden der Lehrpersonen wird mitgedacht.
  • Lehren und Lernen: Das didaktisch-methodische Handeln soll die Selbstwirksamkeit und den Selbstwert stärken. Dies korrespondiert mit der Suizidprävention im Sinne von MindMatters, die einen Beitrag zur Förderung der Resilienz leistet.
  • Ergebnisse und Erfolge der Schule: Weiterführend zum letztgenannten Punkt kann Suizidprävention u.a. einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung (Schulmitglieder mögen sich so, wie sie sind), zur Sozialkompetenz (Schüler:innen helfen sich gegenseitig) und zum Wohlbefinden (Verbundenheit der Schüler:innen zu ihrer Schule wie auch Unterstützung in schwierigen persönlichen Situationen) leisten.

1    Opp, Fingerle & Freytag (1999)