02 Die psychische Gesundheit der Schulleitenden und Lehrpersonen
Download2.2 Die Situation von Lehrpersonen
In einem Schulprogramm zur Förderung der psychischen Gesundheit aller Schulmitglieder muss die psychische Gesundheit von Lehrpersonen als selbstverständlicher Bestandteil aufgenommen werden. Psychische Gesundheitsprobleme von Lehrpersonen nehmen einerseits zu und haben sich andererseits als eine grosse Hürde bei der Förderung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern erwiesen. Stressbelastungen bei Lehrpersonen wirken sich auf die Unterrichtsqualität und die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern aus und können so die Lernleistungen negativ beeinflussen (vgl. auch Kapitel 3.5). Es zeigte sich beispielsweise, dass Lehrpersonen, die sich wohl und zufrieden mit dem allgemeinen Klima an der Schule fühlen, eher bereit sind, Schülerinnen und Schülern mit beeinträchtigter psychischer Gesundheit zu helfen.
Nachstehend ein paar Belastungsfaktoren bei Lehrpersonen.
Diverse Studien [1] haben folgende Faktoren als Hauptursachen für Stress bei Lehrpersonen ergeben:
- Quantitative und zeitliche Belastung (Verschmelzung der Grenzen Arbeit - Freizeit)
- Klassengrösse, Heterogenität der Klasse
- Intensive, multidimensionale Auseinandersetzung (Vermittlung von Sach-, Selbst- und Sozialkompetenzen)
- Enorme Interaktionsfrequenzen
- Störungen im Unterricht (z.B. bedingt durch verhaltensauffällige Schüler:innen oder Disziplinschwierigkeiten) sowie schlechtes Benehmen und mangelnde Motivation von Schülerinnen und Schülern
- Hoher Anteil administrativer Tätigkeiten, Konferenzen, Sitzungen
- Unklare Verantwortlichkeiten (Rollenambiguität), widersprüchliche Erwartungen (Rollenkonflikte)
- Konflikte mit bzw. Beeinträchtigungen der Beziehungsqualität zu anderen Lehrpersonen und weiteren Interaktionspartnerinnen und - partnern (z.B. Eltern)
- Elternarbeit (Eltern haben ein starkes Interesse an der Kompetenz, dem Engagement und der Professionalität der Lehrperson); vgl. Kapitel 4
- Schnell aufeinanderfolgende Reformen und ausgeprägter Veränderungsdruck
- Mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und dauerndes Exponiertsein
- Mit hohen Erwartungen verbundene Tätigkeiten
- Umweltfaktoren/Arbeitsbedingungen: Luftqualität, Schall, Nachhall, Beleuchtungs- und Raumverhältnisse
- Hohes Mass an Emotionsarbeit
Demgegenüber stehen wichtige Ressourcen. Diese tragen zur Balance im Alltag bei und unterstützen den gesundheitsfördernden Umgang mit den Belastungsfaktoren. Nachstehend einige Ressourcen.
Diverse Studien [2] haben folgende Schutzfaktoren bei Lehrpersonen ergeben:
- Soziale Unterstützung
- Wohlwollendes Schulklima
- Ressourcenaktivierung durch schulinterne Weiterbildungen
- Positive Feedbacks von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern
- Handlungs- und Kontrollspielraum
- Wertschätzende, salutogene, transformationale Führung
- Teamentwicklung und unterstützendes Klima, persönliche Wertschätzung und arbeitsbezogenes Lob
- Professionelle Kompetenzen, Selbstwirksamkeitserwartung
- Selbstregulation
- Erfolgserlebnisse
- Persönlichkeitsfördernde Wirkung von Arbeit durch den Aufbau von Kompetenzen
Die Bedeutung des Klimas im Kollegium
Stressbelastungen bei einer Lehrperson können das Klima innerhalb des Kollegiums massiv beeinträchtigen, umgekehrt kann ein angespanntes Klima im Kollegium das soziale, physische und psychische Wohlbefinden von Lehrpersonen einschränken. Dies spricht dafür, psychische Gesundheit auch zum Thema im Teamzimmer zu machen. Doch sind in diesem Zusammenhang auch unter Lehrpersonen Stigmatisierung, Angst, Ignoranz und Scham zu beobachten. Untersuchungen zeigen, dass gerade diejenigen Lehrpersonen unter Stress leiden, die sich engagieren, ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl haben, Enthusiasmus zeigen, sich einer Sache verschreiben, hart arbeiten und zusätzliche Aufgaben übernehmen, ohne sich gleichzeitig in ausreichendem Masse von ihrem Beruf abzugrenzen. Hier beginnt oft eine Art Teufelskreis, der zu psychischen Belastungen bis hin zu ernsthaften Störungen führen kann [3].
Wenn Lehrpersonen von psychischen Gesundheitsproblemen betroffen sind oder nach der Behandlung einer psychischen Störung wieder in die Schule zurückkehren, brauchen sie vor allem den Schutz ihrer Privatsphäre und Unterstützung aus dem Kollegium, um sich wieder ins soziale und professionelle Leben der Schule eingliedern zu können. Kolleg:innen vor Gerüchten und Anspielungen zu schützen, ist äusserst wichtig für ihre Genesung und Reintegration in die Schule.
Es lohnt sich, die eigene Arbeitssituation zu analysieren und dabei unterschiedliche Faktoren, wie z.B. die personalen und strukturellen Ressourcen, die Dauer einer Belastung und die Lebensbalance, zu berücksichtigen. Lehrpersonen können dazu das Reflexionsinstrument zur psychosozialen Gesundheit von Lehrpersonen von Schulnetz21 (siehe nächster Absatz) und die Anregungen für die Reflexion im Kapitel 2.4 zur Selbstfürsorge nutzen.
Indikatoren zur psychosozialen Gesundheit von Lehrpersonen
Die wichtigsten Faktoren für die Gesundheit von Lehrpersonen sind in den Qualitätskriterien des Schulnetz21 aufgeführt.
Die Indikatoren, die verschiedene Dimensionen und Interaktionen betreffen, können individuell oder im Team reflektiert und für eine erste Situationsanalyse genutzt werden. Ein Austausch mit der Schulleitung und/oder eine Beratung durch eine qualifizierte Schulberatung, z.B. mit Schule handelt - Stressprävention am Arbeitsort, können helfen, geeignete Massnahmen zu definieren und umzusetzen.
Download: «Qualitätskriterien für gesundheitsfördernde und nachhaltige Schulen», Reflexionsinstrument zur Psychosozialen Gesundheit von Lehrpersonen (siehe unter D.2)
1 Baeriswyl, Krause & Kunz Heim (2014); Baeriswyl-Zurbriggen, Dorsemagen & Krause (2013); Conrad (2015); Cramer, Friedrich & Merk (2018); Frey (2014); Kunz Heim et al. (2015); Dadaczynski (2018); Kunz Heim & Nido (2008); Kunz Heim, Sandmeier & Krause (2014); Kyriacou (2001); Nido & Trachsler (2015); Nido, Trachsler & Swoboda (2012); Schoch et al. (2019); Sandmeier & Mühlhausen (2020); Schaarschmidt & Fischer (2001); Sidler & Hunziker (2016); Ulich, Inversini & Wülser (2002); Vuille et al. (2004); ZLV (2013)
2 Achermann Fawcett, 2018, Hillert et al. (2013), Kunter et al. (2011), Kunz Heim et al. (2014), Mohr & Undris (1997), Nieskens et al. (2012), Rothland (2013), Sandmeier et al. (2020); Schmitz & Schwarzer (2002), Schoch (2019), Unterbrink et al. (2008)
3 Schaarschmidt & Fischer (2001)