Download

Purzelbaum Schweiz




Download

Purzelbaum Schweiz




08 Psychische Gesundheit

Download

8.1 Entwicklung des Selbst

Unter Selbstwirksamkeit versteht man die subjektive Überzeugung, eine bevorstehende Aufgabe erfolgreich aus eigener Kraft meistern zu können, auch dann, wenn Schwierigkeiten auftreten. Kinder erleben dies speziell in Bewegungshandlungen, beim Experimentieren und Ausprobieren. Sie verbinden das Ergebnis mit ihren eigenen Anstrengungen und mit ihrem eigenen Können. Diese Erfahrung der Selbstwirksamkeit ist die Grundlage für den Aufbau eines Selbstkonzepts.

Das Konzept der Selbstwirksamkeit geht auf Bandura (1986) zurück. Er spricht von der «wahrgenommen Selbstwirksamkeit». Damit unterstreicht er die Tatsache, dass es nicht primär um eine erfolgreiche Handlung geht, sondern um die Wahrnehmung dessen, was mit der eigenen Handlung bewirkt wird. Selbstwirksamkeitserfahrungen machen Kinder schon in den ersten Lebensmonaten, wenn sie z.B. einen Gegenstand werfen und ihn wieder herholen, einen Turm bauen und ihn umwerfen etc.

Selbstwirksamkeit

Positive Selbstwirksamkeitserfahrung bewirkt, dass Schwierigkeiten als Herausforderung wahrgenommen werden. Negative führt dagegen zum Rückzug und Motivationsabfall.

 

Bewegungsangebote eignen sich sehr gut für positive Selbstwirksamkeitserfahrungen. Dabei helfen folgende Rahmenbedingungen:

  • Dem Kind die Entscheidung über das Mitmachen überlassen.
    Die Lehrpersonen bieten immer wieder «Brücken» an für den Einstieg in das Angebot. Ein Kind kann jedoch bereits durch Zuschauen profitieren und positive Selbstwirksamkeitserfahrungen machen.
  • Handlungsimpulse der Kinder aufgreifen.
    Bei vorbereiteten Bewegungsangeboten die Impulse aufgreifen, sie integrieren und kommentieren, so dass das Kind in seiner Tätigkeit gestärkt und seiner Leistung bewusst wird.
  • Bewegungslandschaften durchführen.
    Es gibt nicht nur «richtig» oder «falsch» bei einer Bewegung. In einer Bewegungslandschaft darf sich darum jeder/jede so bewegen wie er/ sie möchte und wie er/ sie kann. So können die Kinder selbst aktiv sein und nach ihren Bedürfnissen experimentieren.
  • Bewertung vermeiden – Eigentätigkeit verstärken.
    Nicht die Person loben («du bist gut»), sondern die Tätigkeit positiv hervorheben («es ist ganz schön schwer, so hoch hinaufzuklettern»). Das Kind lernt, sich aus der Tätigkeit selbst zu verstärken.
  • Passende Schwierigkeitsgrade wählen.
    Selbstwirksamkeitserfahrung setzt realistische Aufgabenstellungen voraus. Manchmal brauchen Kinder Unterstützung, um sich erreichbare Ziele zu setzen. Ihnen muss bewusst werden, dass es um den Einsatz der eigenen Fähigkeiten geht und dass nicht Glück oder Zufall für die erfolgreiche Bewältigung verantwortlich sind.
  • Mit Tipps und Tricks unterstützen, wenn nötig.
    Beim Kind nachfragen, ob es einen Tipp braucht. «Ja» und «Nein» als Antwort gleichermassen akzeptieren. Bei einem Ja umsetzbare Tipps und Tricks geben/zeigen.
  • Zeit geben.
    Kinder brauchen Zeit, um abzuwägen, auszuprobieren und mehrere Versuche zu machen.
  • Einfache, aber einsichtige Grenzen/Regeln vereinbaren.
    Faire und konsequent durchgesetzte gemeinsame Regeln vermitteln Sicherheit und stiften Orientierung.
  • Das Glück der gelungenen Taten würdigen.
    Der Stolz auf das selbst vollbrachte Werk gibt dem Kind das Gefühl, kompetent und selbstständig handeln zu können. Ausserdem vermittelt es ihm die Zuversicht für die künftige Bewältigung von Herausforderungen: «Juhui, du hast es geschafft!»

 

2-18 Monate

Kinder haben eine Ahnung von der eigenen Wirksamkeit und entwickeln ein Verständnis für die Zusammenhänge zwischen dem eigenen Handeln und seiner Wirkung, z.B., wenn sie etwas zu Boden fallen lassen.

Ab Mitte des zweiten Lebensjahres

Kinder möchten Kontrolle über sich und ihr Handeln ausüben. Sie können selbstverursachende Wirkungen als persönliche Erfolge und ausbleibende Wirkungen als persönliche Misserfolge werten. Die Erfahrung, dass sie ein Ziel aus eigener Kraft erreichen können, motiviert sie dazu, sich anzustrengen. Die Leistungsmotivation beginnt heranzuwachsen.

Kindergarten/Schule

Selbstwirksamkeitserwartungen werden durch die eigene kognitive Entwicklung, aber auch durch den Vergleich mit anderen verfeinert. Kinder beginnen, die eigenen Fähigkeiten mit dem Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe abzugleichen und die Erfolgsaussichten zu bewerten. Dies führt zu einer realistischeren Selbsteinschätzung.

Das Selbstkonzept ist die Summe von Einstellungen und Überzeugungen zur eigenen Person. Dazu gehört die Vorstellung von den eigenen Fähigkeiten (kognitiv), aber auch, wie man diese einschätzt und bewertet (emotional). Es verfestigt sich durch die eigenen Erfahrungen mit der Umwelt und den Austausch mit anderen.

Zum Selbstkonzept gehören

  • das Selbstbild: beschreibbare Merkmale der Persönlichkeit wie Fähigkeiten, Aussehen etc. (wie gross ich bin, wo meine Stärken und meine Schwächen liegen …).
  • die Selbstwirksamkeit: die subjektive Überzeugung, eine bevorstehende Aufgabe erfolgreich aus eigener Kraft meistern zu können.
  • das Selbstwertgefühl: Selbsteinschätzung, Zufriedenheit mit den wahrgenommenen persönlichen Merkmalen und mit den eigenen Fähigkeiten.

Um ein Bild über sich selbst zu erhalten, greift das Kind auf unterschiedliche Informationsquellen zurück:

  • Informationen über die Sinnessysteme (das «Körperselbst»)
  • Selbstwirksamkeitserfahrungen
  • Schlussfolgerungen aus dem Sich-Vergleichen und Sich-Messen mit anderen
  • Rückmeldungen von anderen, z.B. zu persönlichen Merkmalen

Kinder gewinnen ihr Selbstkonzept mehrheitlich aus Bewegungserfahrungen und übertragen dies auf andere Herausforderungen.

Das Selbstkonzept beeinflusst die Motivation und das Handeln. Es wirkt sich auf die eigenen Erfolgs- und Misserfolgserwartungen aus. Entscheidend ist diesbezüglich die Art und Weise der Ursachenzuschreibung des Kindes (Attribuierung) bezüglich der eigenen Leistungen:

  • Kinder mit einem positiven Selbstkonzept führen Erfolge auf ihre eigenen Anstrengungen zurück und sehen sie als Bestätigung ihrer Leistungsfähigkeit. Erfolg wird als selbstbestimmt erlebt («Ich bin gut!»). Misserfolg betrachten sie als Zufall oder Pech und als nicht repräsentativ für ihre Fähigkeiten. Misserfolg wird als fremdbestimmt erlebt («Die Lehrperson hat falsch gepfiffen!»). Sie gehen neue Aufgaben mutiger und mit grösserer Energie an und sind auch bei Misserfolgen nicht so leicht zu entmutigen.
  • Kinder mit einem eher negativen Selbstkonzept erleben neue Situationen und Anforderungen häufiger als bedrohlich, fühlen sich ihnen nicht gewachsen und geben leichter auf. Sie reagieren empfindlich auf Kritik und Misserfolg und besitzen eine geringe Frustrationstoleranz. Erfolg führen sie auf Glück und Zufall zurück und weniger auf sich selbst. Erfolg wird als fremdbestimmt erlebt («Ich hatte Glück!»). Misserfolg interpretieren sie oft als Beweis für das eigene Unvermögen und die mangelnde Begabung. Misserfolg wird als selbstbestimmt erlebt («Ich bin schlecht!»).

In der Vorschulzeit und in den Primarschuljahren muss besonderes Augenmerk auf die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts gelegt werden, denn in diesem Alter ist es noch stark beeinflussbar.

Eine wesentliche Vorbedingung für die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes bzw. eines positiven Selbstwertgefühls ist das Bereitstellen von Situationen, in denen das Kind selbst aktiv werden kann.

Die Lehrpersonen haben die Möglichkeit, diese Entwicklung des Kindes zu unterstützen in dem sie …

  • Vergleiche mit anderen vermeiden. Dem Kind die eigenen Fortschritte aufzeigen: «Ich sehe, wie mutig du warst. Jetzt hast du es ganz alleine und ohne Hilfe ausprobiert.» So lernt es, dass es durch Wiederholung und Üben besser wird und somit sein Schicksal selbst in der Hand hat. Dies wirkt sich positiv auf die Motivation aus.
  • das Kind spüren lassen, dass sie Vertrauen in seine Fähigkeiten Dem Kind somit eine positive Erwartungshaltung zeigen: «Ich weiss, dass du das schaffen kannst. Ich glaube an dich.»
  • dem Kind zeigen und sagen, dass sie es so mögen, wie es ist. Eine wertschätzende Haltung gegenüber allen Kindern haben.
  • individuelle Schwierigkeitsgrade Bewegungsaufgaben nach Anforderungsgrad so staffeln, dass jedes Kind Erfolgserlebnisse haben kann («Ich schaff’s!»). Gehemmten und ängstlichen Kindern Zeit lassen, selbst aktiv zu werden. Sie ermuntern und ihnen zeigen, dass die Lehrpersonen ihnen die Aktivität zutrauen, aber keinen Druck ausüben und ihnen die Chance geben, selbstbestimmt in die Aktivität zu gehen.
  • das Bemühen der Kinder verstärken und sie auf ihre Leistungen hinweisen. Positives sofort verstärken. Negatives Verhalten besser nicht kommentieren, als es zu tadeln.
  • bei einem Scheitern Hoffnung für zukünftige Versuche geben: «Das hat NOCH nicht geklappt. Manchmal muss man Dinge ein paar Mal machen/üben, bis man es kann.» So lernen die Kinder, dass sie durch Ausdauer belohnt werden.»
  • den Kindern helfen, eine adäquate Ursachenzuschreibung für Erfolg und Misserfolg zu finden. Tolle Leistungen auf ihre Anstrengung zurückführen. Beim Scheitern an schwierigen Aufgaben auch die Schwierigkeit der Aufgabe aufzeigen und zu einem erneuten Versuch ermutigen.

Leit- und Reflexionsfragen

  • Überlege dir zwei Situationen in der vergangenen Woche, in denen du einem Kind die Gelegenheit zu einer Handlungserfahrung (Selbstwirksamkeitserfahrung) ermöglichen konntest oder hättest ermöglichen können.
    • Wie hast du dich in dieser Situation verhalten?
    • Was nimmst du dir für das nächste Mal vor?
  • Nimm dir für jedes Kind regelmässig einige Minuten Zeit.
    • Welche Interessen zeigt das Kind?
    • Was braucht es, um diesen nachzugehen?
    • Welche damit verbundenen Herausforderungen ist es bereit, anzunehmen?
    • Wie kannst du es dabei unterstützen.
  • Rufe dir eine für dich wirklich herausfordernde Situation ins Gedächtnis.
    • Welche Fähigkeiten halfen dir, diese zu meistern?
    • Welche Selbstwirksamkeitsüberzeugungen leiteten dich?